Donnerstag, 7. Dezember 2006
Christ- und Arschlochkinder

Alle Jahre wieder Weihnachtsgeschäft. Mein Mitgefühl gilt in diesen Tagen ganz besonders den armen Schweinen, die im Verkauf arbeiten und sich mit dem schlechtgelaunten, unfreundlichen, unverschämten Kundenpöbel herumschlagen müssen. Ich weiß nämlich, wie das ist:

Eine gute Freundin führt ein edles kleines Geschäft für Weine und dazugehörige Accessoires und geriet vor Jahren justament im Dezember in eine Notlage, als zwei ihrer drei Angestellten von einer damals in unserer Gegend wütenden Grippe aufs Krankenlager geworfen wurden. Da sie um meine große Affinität zum Wein wußte, bat sie mich in ihrer Verzweiflung, ob ich nicht ein paar Tage... und so stand ich am nächsten Morgen pünktlich um neun im Laden, um der verwöhnten Kundschaft eines besseren Kölner Vorortes zu Diensten zu sein. Seitdem ist meine Hochachtung gegenüber den Märtyrern der Verkaufsschlacht in höchste Höhen gestiegen. Meckernde Kunden, schlechtgelaunte Kunden, unfreundliche Kunden, unverschämte Kunden... wenn dann noch Vollmond ist, wird es ganz schlimm.

Sehr beliebt auch Mütter mit Einzelkindern, Typ anorektische Oberlandesgerichtspräsidentengattin mit einem noch kurz vor der letzten Menopause produzierten Mini-Terroristen an der Seite. Nicht an der Hand, sondern freilaufend. Was mir automatisch Schweißperlen auf die Stirne trieb, weil einige recht teure Waren aus mundgeblasenem Glas in den Vitrinen standen. Der Terrorist rannte erratisch durch den Laden, streifte einen mit aufgetürmtem Weinhnachtskrimskams hochbeladenen Tisch, und zwei oder drei Weihnachtsengel machten Bauchlandung auf dem Fußboden.

"Malte-Laurenz!", schalt daraufhin die anorektische Mama das Kind, das nur kurz aufblickte, sich dann aber der liegenden Engel wie auch der mütterlichen Ermahnung nicht weiter kümmerte. Ich seufzte (innerlich) und vertiefte mich mit der Frau gerade wieder in die Details der Herstellung und Verkostung eines guten Amarone, da schepperte der Miniterrorist abermals an den Vitrinen vorbei. Jetzt fand ich den Augenblick gekommen, Frau Mama um etwas sorgfältigere Aufsicht, ihren Sprößling betreffend, zu bitten. Sie war gerade dabei, mir ihre Empörung über meine "Unverschämtheit" mitzuteilen, als uns der erwartet-befürchtete helle Knacks unterbrach. Ein Alambicco, eine kleine Flasche voll edlen Grappas in Form eines Destillierkolbens (eine Zeitlang trés chic), hatte dran glauben müssen. "Malte-Laurenz, nun paß aber ein wenig auf!" war die Reaktion der Frau Mama, die es offensichtlich damit bewenden lassen wollte.

Ich sah die Frau an, die Frau sah mich an. "Macht Hundertneunundzwanzig Euro Neunzig", sagte ich. Die Frau sog schnaufend den Atem ein, ihre Gesichtsfarbe wechselte ins zunehmend rötliche und sie setzte zu einer wahrscheinlich nicht sehr charmanten Antwort an, als plötzlich der Leiter der nahegelegenen Polizeiwache in den Laden trat. In Uniform. Mit dem Mann war ich gut bekannt, wir begrüßten uns herzlich, dann wandte ich mich wieder der Frau zu. Die aber blickte nur kurz zur Seite, schwieg betroffen, zählte das Geld ab und legte es neben die Kasse, griff nach Malte-Laurenz und verließ ohne ein einziges weiteres Wort den Ort ihrer Niederlage.

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