Als ich fünf Jahre alt war, nahm man mich das erste Mal mit zu Besuch bei den englischen Verwandten, und natürlich wurden mir sofort die in der näheren (Canterbury, Kathedrale) und weiteren Umgebung (Greenwich, Null-Meridian) gelegenen Sehenswürdigkeiten gezeigt, die ich altersbedingt allerdings nur mit mäßiger Huld begutachtete. Mit einer Ausnahme: ich fand Segelschiffe schon damals toll, und im Hafen von Greenwich konnte man sich einen wunderschönen, zu jener Zeit genau Hundert Jahre alten Teeklipper namens "Cutty Sark" anschauen. All die Taue und Masten und Rahen und Spanten und Planken und Zapfen und Geländer, überhaupt: so viel Holz. Und es sah schön aus, dieses Holz, dunkel und geheimnisvoll und heimelig, nur unterbrochen von goldglänzenden und leuchtenden Messingarmaturen und -verzierungen. Und es duftete ganz eigenartig, eine Mischung aus Bohnerwachs (?) mit einer bitteren Beimengung, die ich nie wieder gerochen habe und die ich trotzdem bis heute erinnere. Natürlich wollte ich unbedingt einen Modellbaukasten des Schiffes haben, der im nahgelegenen Andenkenladen feilgeboten wurde und nach gebührender Quengelei erreichte ich mein Ziel auch, die nächsten Tage saßen Onkel und ich in seinem study und klebten und bastelten das Modell zusammen, das zu meinem Befremden Plastiksegel hatte, die Takelage war aus schwarzem Zwirn. Immer wieder wollte ich mir in den folgenden Jahren das Schiff noch einmal ansehen und bin trotzdem nie mehr dort gewesen, obwohl der Name "Cutty Sark" (mit dem ich als des Englischen unkundiges Kleinkind gar nichts anfangen konnte) geradezu zu einem Geräusch, einem Synonym für kindiche Abenteuerlust und schweifende Träumereien geworden war. Und nun sind siebenunddreißig Jahre vergangen und seit heute weiß ich, ich werde es nicht mehr schaffen, diesen Zeugen meiner Kindheit zu besuchen.
Heute ist die "Cutty Sark" bei einem Brand zerstört worden.
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