Auf Weg zum Bäcker begegnete mir heute ein großes Plakat. "Schulz, bist du es?" entfuhr es mir unwillkürlich. Dann genauer hingeguckt. Achso, mit Piercing.
Andererseits, der Bezug zu Hep C ist jetzt auch nichts, das sich nicht als Schulz-Assoziation anböte...
In Erfurt soll eine Moschee errichtet werden, nicht alle sind damit einverstanden. Ein kleines Grüppchen Moscheegegner errichtete jetzt auf dem vorgesehenen Baugrundstück ein großes Holzkreuz, das wiederholt in der Nacht beschädigt wurde.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, nach eigenen Angaben praktizierender Katholik, reagierte auf diese Aktion sehr erbost und äußerte auf seinem regelmäßig bespielten Twitter-Profil so:
"Kreuzzüge, Hakenkreuze oder Ku-Klux-Klan - die Traditionslinien sind erkennbar. Mit Glauben und Religion hat das nichts zu tun! #Rassismus"
Man kann zur Holzkreuzaktion in Erfurt jetzt stehen, wie man will, aber der Thüringer Landesvater läßt - als Christ! - doch einige Wissenslücken erkennen. Denn eigentlich könnte einem eine andere Kreuzaufrichtung als viel naheliegender in den Sinn kommen, die so gar nicht mit Nazis, sinistren KKK-Gestalten oder Kreuzfahrern zu tun hatte:
Ich rede von der polnischen Stadt Nowa Huta in der Nähe von Krakau. Dort hatte die sozialistische Regierung Polens nach dem Krieg eine ganze Stadt um ein Eisenhüttenkombinat aus dem Boden stampfen lassen, aber ohne eine einzige Kirche für die 200.000 Einwohner einzuplanen.
Das seien nur "bürgerliche Relikte, auf die der Arbeiter im Sozialismus gerne verzichten kann", erklärte die Krakauer Parteileitung damals auf Vorhaltungen geringschätzig.
Doch die Mehrheit der Hüttenarbeiter von Nowa Huta war da ganz anderer Meinung: 1956 errichteten sie auf freiem Feld ein riesiges Holzkreuz, unter dem Priester aus Krakau regelmäßig Gottesdienst abhielten.
Als die Regierungskommunisten im Herbst 1960 Bautrupps anfahren ließ, um das Kreuz zu fällen und den illegalen Kirchplatz für den Bau einer Schule zu planieren, kam es zum Volksaufruhr: Polizisten schossen auf Arbeiter, das Kreuz aber blieb.
Auch der damalige Erzbischof von Krakau Karol Wojtyła hielt auf dem Platz regelmäßig Gottesdienste ab und setzte mit hartnäckiger Sturheit ab 1965 sogar den Bau einer katholischen Kirche durch, die nach zahlreichen Materialspenden von Menschen aus ganz Polen und sogar von Papst Paul VI. 1977 geweiht werden konnte.
DAS ist der historische Kontext, von dem ich mir vorstellen kann, daß er dem einen oder anderen in den neuen Ländern noch geläufig ist.
Wenn ein älteres Stück Architektur oder anderes Zeugnis der bildenden Kunst zum Restaurator muß, erhebt sich immer die Frage, ob in späteren Zeiten hinzugefügte Zusätze wieder entfernt werden sollen. Meistens sehen die zuständigen Kuratoren und Kunsthistoriker von solch drastischen Maßnahmen ab. Sie argumentieren, solche Veränderungen würden zur Wirkungsgeschichte eines Kunstwerks gehören und eine noch spätere Epoche habe nicht das Recht, ihren Standpunkt absolut zu setzen und auf dieser Grundlage in den Bestand des Werkes irreversibel einzugreifen.
Von diesem schönen, weil bescheidenen Gedanken scheint der Senat der Universität Greifswald nicht berührt worden zu sein. Gestern sprach das Gremium der bis dato mit dem Namenszusatz "Ernst-Moritz-Arndt" versehenen Uni die damnatio memoriae über den Dichter aus. Er sei ein arger Nationalist gewesen und tauge daher nicht für einen "weltoffenen Universitätsgedanken".
Daß Arndt ein Kind seiner Zeit war und seinen dichterischen Zorn nach Besatzungserfahrungen mit napoleonische Truppen entflammen ließ - wen interessiert das noch? Jedenfalls nicht die Greifswalder Tugendbolde, die sich im Besitze der alleinseligmachenden Wahrheit wähnen.
"Eγενετο δε εν ταις ἡμεραις εκειναις εξηλθεν δογμα παρα καισαρος αυγουστου απογραφεσθαι πασαν την οικουμενην. αὑτη απογραφη πρωτη εγενετο ἡγεμονευοντος της συριας κυρηνιου. και επορευοντο παντες απογραφεσθαι, ἑκαστος εις την ἑαυτου πολιν..."
Es begab sich aber zu der Zeit, daß ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, daß alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, daß er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt. Da machte sich auf auch Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, damit er sich schätzen ließe mit Maria, seinem vertrauten Weibe; die war schwanger. Und als sie dort waren, kam die Zeit, daß sie gebären sollte. Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge.
Und es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Hürden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und der Engel des Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen. Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens."
Euch allen ein frohes Fest!
Allgemeine Russen-Hacker-Hysterie. Der böse Putin hat die sozialen Netzwerke gehackt und dem noch böseren Trump auf dem Thron geholfen. Sagt die CIA. Und schon laufen hierzulande die üblichen Verdächtigen schwanzwedelnd zu großer Form auf und raunen etwas von einer russischen Bedrohung für die kommenden Bundestagswahlen.
Da ist dieses Motiv in der Tat ein Evergreen:
Seit ich politisch denken kann, war ich immer ein enthusiastischer Befürworter der europäischen Einigung. Die Gründe waren und sind vielfältig, teils eher pragmatischer Natur wie der Vorteil, ohne lästige Grenzkontrollen und Geldumtauschaktionen quer durch den Kontinent reisen zu können; teils auch von eher kulturromantischer Art beim Gedanken ans Alte Europa; teils auch aus Sorge um die Zukunft in einer globalisierten Welt, wo selbst ein einiges Europa mit gerade einmal sechs oder sieben Prozent der Weltbevölkerung seinen Rang nur mit Mühe behaupten kann.
Und ein einiges Europa ist ein Projekt des Friedens. Was meiner Generation nicht viel sagt und bedeutet, weil wir es ja nie anders kennengelernt haben. Aber noch leben unsere Eltern oder Großeltern, die den letzten Krieg am eigenen Leibe erlebt und erlitten haben und uns erzählen können, welch fundamentaler Wandel sich da in den letzten 70 Jahren vollzogen hat, weg von allerlei mit blutigster Leidenschaft ausgefochtenen Erbfeindschaften hin zu einer vielleicht im Alltag etwas drögen Friedensordnung, die aber Verläßlichkeit und Ruhe versprach.
Dieses Versprechen halte ich nach wie vor für wichtig, grandios und tatsächlich alternativlos. Doch leider leben wir nicht in de Gaulles Europa der Vaterländer oder einer europäischen Ordnung, die auf breiter, demokratischer Basis und dem Einverständnis der Bevölkerung die Dinge immer nur da regelt, wo die Notwendigkeiten die Zuständigkeiten bestimmen. Denn tatsächlich begegnet uns die europäische Idee heute nur in der Form des real existierenden Eurobürokratismus. Was ist alles geklagt worden über die Regelungswut der Brüsseler Bürokraten (Bodo Hauser: "Die Zehn Gebote haben 279 Wörter, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat 300 Wörter, die EU-Verordnung zur Einfuhr von Karamellbonbons hat 25.911 Wörter.").
Aber schlimmer noch ist die Arroganz der politischen Primadonnen von Schulz bis Juncker, die nicht einmal jetzt auch nur einen Funken Bedauerns über den Ausgang des britischen Referendums erkennen lassen oder gar die Einsicht, mit ihrer bürgerfernen Bevormundungspolitik, die schwerste Fehlentscheidungen beinhaltet, die Briten selber tatkräftig aus der Union getrieben zu haben. Stattdessen immer noch dieselbe beleidigte Überheblichkeit, mündend und gipfelnd in der Aussage von heute morgen, die Briten hätten "jetzt unverzüglich zu handeln". So, mit diesem Auftreten, geben sie den Brexit-Befürwortern im Nachhinein erneut recht.
Denn wenn nicht einmal dieses Ereignis von der Eurokraten und EU-Fans in den Redaktionsstuben als Weck- und Warnruf begriffen wird, dann ist das gestern nicht das letzte Austrittsreferendum gewesen. Die ersten Reaktionen lassen nichts gutes erwarten. Doch mit der Abqualifizierung von EU-Kritikern (die ja oft genug gerade Europafreunde sind!) als verblendete Deppen, Angsthasen oder wie heute beim Mutterschiff des gouvernantenhaften "Haltungs"-Journalismus "Die Zeit" gar als "Amokläufer" treiben die EU-Befürworter ihren Gegnern nur noch umso mehr Wähler zu.
Daß diese Dämonisierungs- und Arroganzstrategie das Gegenteil vom Beabsichtigten erreicht, sollte sich nach einschlägigen Erfahrungen mit der FPÖ, dem Front National oder der AfD unter den "Eliten" langsam herumgesprochen haben.
Schade. Dabei ist Europa so eine grandiose Idee.
Manche Dinge sind unwiederbringlich dahin, so wie das Internat, in dem ich fünf Jahre verbracht habe und dem ich in Haßliebe verbunden geblieben bin. Doch die Schule wurde später geschlossen und alle Gebäude um die Jahrtausendwende schließlich abgerissen. Nur noch eine grün umbuschte Hügelkuppe ist geblieben, nichts erinnert mehr an den Bau und die Menschen, die dort gelebt gaben.
Anderes dagegen kehrt manchmal wieder, Geduld und Wartezeit vorausgesetzt.
Mein Großvater war ein preußischer Offizier, kämpfte im 1. Weltkrieg und im 2. auch und überlebte beide Ereignisse unversehrt und ordenbedeckt. 1945 mußte die Familie auf Einladung der Russen das Gut in der hinterpommerschen Heimat verlassen, während er in amerikanischer Gefangenschaft saß. Dann, entlassen, der Heimat und aller Herrlichkeiten des einstigen Adelslebens beraubt (das vor allem in harter landwirtschaftlicher Arbeit bestanden hatte), fing er ganz von unten wieder an. Er trug "Wild und Hund" aus, bastelte aus bemalten Tannenzapfen Weihnachtsmänner für den Verkauf und tat und ertrug auch sonst viele Dinge, die den einstigen Generalstabsoffizier hart angekommen sein müssen.
Aber nie, nicht ein einziges Mal, habe ich von ihm auch nur ein Wort der Klage gehört, nicht über den Verlust der Heimat, nicht über die im Kriege gebliebenen zwei Söhne. Er biß die Zähne zusammen und tat seine Pflicht und schuf seiner Frau und seinen drei überlebenden Kindern im rheinischen Westen, wohin sie die Flucht schlußendlich verschlagen hatte, ein neues Zuhause. 1952 konnte er schon wieder ein Haus kaufen, zehn Jahre später folgte ein zweites, größer noch als das vorherige.
Er war ein einfacher Mann; einfach in dem Sinne, daß er keinen Sinn für intellektuelles Origami oder den Weltschmerz wohlstandsverwöhnter Berufssöhne besaß. Auch blieb ihm deshalb der im Rheinland übliche Gefühlsüberschwang immer rätselhaft; der lauten Deklamation zog er immer die stille, aber anhaltende Freude vor.
Zuverlässigkeit, Treue, Ehre, Loyalität, von großer Sparsamkeit und noch größerer Generosität, war ihm einer, wenn nicht der wichtigste Leiststern in seinem Leben neben dem christlichen Glauben die Gestalt des Alten Fritzen. Der Preußenkönig war ihm sein ganzes Leben lang ein verehrtes Vorbild, auch mein Großvater lebte immer nach dem Moltke-Motto "mehr sein als scheinen".
Zu seinem 90. Geburtstag schenkte ich ihm zwei Bücher, die Friedrich der Große geschrieben hatte, die "Geschichte meiner Zeit" und die "Geschichte des Hauses Hohenzollern". Er war davon seltsam gerührt. "Die anderen", meinte er betrübt in einem Moment, in dem wir allein miteinander waren, "die anderen schenken mir nur noch Präsentkörbe und Wein, weil sie glauben, längerfristige Investitionen lohnen sich bei mir nicht mehr".
Auf seinem Schreibtisch stand eine kleine Figur, die Nachbildung eines Denkmals für Friedrich II., beinah das einzige sichtbare Zeichen für dessen Verehrung. Und als mein Großvater ans Sterben kam, da wollte ich von ihm zur Erinnerung nichts als ebenjene kleine Statuette des Alten Fritzen. Denn, wie ich gestehen muß, auch ich kann dem Hohenzollern einiges abgewinnen, und die Figur hätte dem genauso Ausdruck verleihen wie sie mich auch als bleibendes Andenken an meinen Großvater durchs Leben begleiten können.
Doch des Großvaters Sohn und zugleich mein Onkel nahm die kleine, wohl um 1900 aus Gußeisen gefertigte Figur an sich und erklärte mir kühl, die sei nicht für mich bestimmt, ich hätte zu warten. Und all die Jahre wurmte mich das und machte mich traurig, daß der Onkel, hochvermögend und Stütze der Gesellschaft, sich hier so kleinlich zeigte und Großvaters Figur an sich nahm - nicht, auf daß sie etwa seinen Schreibtisch ziere, sondern nur sein Eigentum sei.
Und nun, 32 Jahre später, nachdem sich auch der Onkel zu seinen Vätern versammelt hat, bin ich zur Tante, seiner Witwe, gegangen und habe ihr die Geschichte erzählt. Und sie wunderte sich und meinte, das verstehe sie nicht, daß der Onkel mir dieses mir so teure Erinnerungsstück so lange vorenthalten habe. Und beim nächsten Besuch stand auf der Kaffeetafel besagte Statuette, von der Tante kommentarlos an meinen Platz gestellt. Jetzt steht der Alte Fritz, gußeisern und abgesehen von ein bißchen Flugrost bis heute unbeschädigt, auf meinem Schreibtisch, um mir die Tugenden des Menschen genauso wie seine Fehlerhaftigkeiten im Gedächtnis zu halten.