Donnerstag, 9. März 2017
Das Kreuz mit dem Kreuz

In Erfurt soll eine Moschee errichtet werden, nicht alle sind damit einverstanden. Ein kleines Grüppchen Moscheegegner errichtete jetzt auf dem vorgesehenen Baugrundstück ein großes Holzkreuz, das wiederholt in der Nacht beschädigt wurde.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, nach eigenen Angaben praktizierender Katholik, reagierte auf diese Aktion sehr erbost und äußerte auf seinem regelmäßig bespielten Twitter-Profil so:

"Kreuzzüge, Hakenkreuze oder Ku-Klux-Klan - die Traditionslinien sind erkennbar. Mit Glauben und Religion hat das nichts zu tun! #Rassismus"

Man kann zur Holzkreuzaktion in Erfurt jetzt stehen, wie man will, aber der Thüringer Landesvater läßt - als Christ! - doch einige Wissenslücken erkennen. Denn eigentlich könnte einem eine andere Kreuzaufrichtung als viel naheliegender in den Sinn kommen, die so gar nicht mit Nazis, sinistren KKK-Gestalten oder Kreuzfahrern zu tun hatte:
Ich rede von der polnischen Stadt Nowa Huta in der Nähe von Krakau. Dort hatte die sozialistische Regierung Polens nach dem Krieg eine ganze Stadt um ein Eisenhüttenkombinat aus dem Boden stampfen lassen, aber ohne eine einzige Kirche für die 200.000 Einwohner einzuplanen.
Das seien nur "bürgerliche Relikte, auf die der Arbeiter im Sozialismus gerne verzichten kann", erklärte die Krakauer Parteileitung damals auf Vorhaltungen geringschätzig.
Doch die Mehrheit der Hüttenarbeiter von Nowa Huta war da ganz anderer Meinung: 1956 errichteten sie auf freiem Feld ein riesiges Holzkreuz, unter dem Priester aus Krakau regelmäßig Gottesdienst abhielten.
Als die Regierungskommunisten im Herbst 1960 Bautrupps anfahren ließ, um das Kreuz zu fällen und den illegalen Kirchplatz für den Bau einer Schule zu planieren, kam es zum Volksaufruhr: Polizisten schossen auf Arbeiter, das Kreuz aber blieb.
Auch der damalige Erzbischof von Krakau Karol Wojtyła hielt auf dem Platz regelmäßig Gottesdienste ab und setzte mit hartnäckiger Sturheit ab 1965 sogar den Bau einer katholischen Kirche durch, die nach zahlreichen Materialspenden von Menschen aus ganz Polen und sogar von Papst Paul VI. 1977 geweiht werden konnte.

DAS ist der historische Kontext, von dem ich mir vorstellen kann, daß er dem einen oder anderen in den neuen Ländern noch geläufig ist.




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