Montag, 8. Oktober 2007
Bentornato II

Und noch einige Eindrücke sind nachzutragen:

Die Bänkelsänger gehen mit der Zeit und schrammeln jetzt mit elektrischer Verstärkung, nun ist es vollends unmöglich, ihrem nervigen Gedudel zu entkommen.


Campo de' Fiori

Dafür kann der fromme Pilger in den Kirchen wieder echte Kerzen aufstellen. Die Geschmacksverirrung der münzbetriebenen Glühbirnenvariante ist auf dem Rückzug.

Keine Katzen. Doch, ein oder zwei. Aber verglichen mit den noch vor 20 Jahren allgegenwärtigen, sich überall genüßlich räkelnden Stubentigern...

Dafür viele kleine Hunde. Dackel (!), Jack Russels... sehr merkwürdig. Hunde gab es in Rom zwar schon immer, aber meistens waren das riesige gelbe Köter mit Mastino- oder sonstigen Schoßhündchenvorfahren (Ausspruch eines mich seinerzeit in Rom besuchenden Freundes: "Das sind keine Hunde. Das sind Ponys.").

Ampeln. Die gab es auch früher schon. Aber nicht so viele. Und vor allem: die Fußgänger, auch die Einheimischen, bleiben bei Rot jetzt stehen. Unfaßbar.

Schlangen. Überall. In Zeiten der Billigflüge wohl unvermeidliche Begleiterscheinung des Massentourismus. Vor dem Petersdom Sicherheitskontrollen wie am Flughafen, schon seit Jahren. Jetzt aber staut sich davor die Schlange derer, die in die Kirche wollen, zum Grab des toten Woytila, rund um den kompletten Petersplatz. Um die Stadt um ihrer selbst willen zu erleben, muß man sich morgens um sieben auf die Socken machen (oder nach Hause kommen). Ansonsten geht es an den touristischen Brennpunkten wie bei vor einer texanischen Viehauktion zu: aus allen Richtungen traben muhende Herden wild durcheinander, umkläfft vom Gebell der radebrechenden und schirmschwenkenden guide turistiche.

Die Fassaden der zum Heiligen Jahr 2000 komplett restaurierten Kirchen und Paläste beginnen wieder ein wenig Patina anzulegen. Unmittelbar nach dem Ende der Arbeiten empfand ich die Stadt als irritierend schreibunt, dieser Playmobileffekt verschwindet langsam. Dadurch bei mir größere Bereitschaft, mich näher mit den teilweise sehr interessanten Farbvarianten zu beschäftigen, die im Unterschied zur fälschlich als "schon immer" für typisch römisch gehaltenen Billig-Ockerfarbe den Vorzug tatsächlicher Historizität aufweisen.

Keine Zigeunerkinder, die mit vorgehaltenen Pappdeckeln arglose Touristen umdrängeln und sie dabei ums Geld erleichtern. Nicht ein einziges gesehen.

Außer herzkranken, alten Damen mit fliederfarbenem Haar und hartnäckigen Touristen trinkt in Rom wirklich niemand caffè latte. Warum auch? Sollen sie ihre vanilla flavoured Zuckerbrühe doch gefälligst zu Hause und to go saufen.

Keine Junggesellenabschiede! Wie die männliche römische Jugend sich auch wohltuend der zumal unter den Abkömmlingen der deutschen Unterschicht beliebten Sitte enthält, die Haarpracht wahlweise wie ein Topfbürste oder ein mittig angetackertes Hamsterfell wirken zu lassen.

Hier und da trägt die Damenwelt auch in Italien Stiefel. Aber die Wirkung ist eine ganz andere als hierzulande. Während die teutonische Stiefelnuttette das öffentliche Bild beherrscht und in ihrer optischen Anmutung zwischen Stallknecht und Straßenhure oszilliert, brechen die Römerinnen diesen Effekt mit nur wenigen femininen Accessoires sofort auf. Ein elegant geschnittener Rock, eine malerisch über die Schultern drapiertes Tuch... ah, che differenza!

Der Friede. Abseits der tief ausgetrampelten Touristenpisten gibt es sie beinahe wie immer, die unberührten, unbekannten Kleinodien. Oft liegen sie nur ein paar Schritte von den verkehrsdurchtosten Magistralen entfernt, Orte des paradiesischen Verweilens, in denen sich das Glück der Begegnung mit der Schönheit der Kunst (oder war's umgekehrt?) ganz ungestört entfalten kann. Der Schildkrötenbrunnen, der kleine Kreuzgang von Ss. Quattro Coronati mit seiner so kostbar fragilen Atmosphäre und tausend andere kleinen Ecken, die keinen Stern im Baedecker haben oder nicht hip genug für den Marco Polo sind, sie alle liegen immer noch mit erwartungsvoll gespitzten Lippen da, bereit, sich dem aufmerksamen Besucher hinzugeben.


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