Christopher Street Day naht unaufhaltsam und unser lokales Kampfblatt "Express" stimmt sich thematisch langsam ein:
"Schwule Flamingos adoptieren verwaistes Ei"
"T-Mobile-Profi Pinotti behauptet Rosa Trikot"
Als ich fünf Jahre alt war, nahm man mich das erste Mal mit zu Besuch bei den englischen Verwandten, und natürlich wurden mir sofort die in der näheren (Canterbury, Kathedrale) und weiteren Umgebung (Greenwich, Null-Meridian) gelegenen Sehenswürdigkeiten gezeigt, die ich altersbedingt allerdings nur mit mäßiger Huld begutachtete. Mit einer Ausnahme: ich fand Segelschiffe schon damals toll, und im Hafen von Greenwich konnte man sich einen wunderschönen, zu jener Zeit genau Hundert Jahre alten Teeklipper namens "Cutty Sark" anschauen. All die Taue und Masten und Rahen und Spanten und Planken und Zapfen und Geländer, überhaupt: so viel Holz. Und es sah schön aus, dieses Holz, dunkel und geheimnisvoll und heimelig, nur unterbrochen von goldglänzenden und leuchtenden Messingarmaturen und -verzierungen. Und es duftete ganz eigenartig, eine Mischung aus Bohnerwachs (?) mit einer bitteren Beimengung, die ich nie wieder gerochen habe und die ich trotzdem bis heute erinnere. Natürlich wollte ich unbedingt einen Modellbaukasten des Schiffes haben, der im nahgelegenen Andenkenladen feilgeboten wurde und nach gebührender Quengelei erreichte ich mein Ziel auch, die nächsten Tage saßen Onkel und ich in seinem study und klebten und bastelten das Modell zusammen, das zu meinem Befremden Plastiksegel hatte, die Takelage war aus schwarzem Zwirn. Immer wieder wollte ich mir in den folgenden Jahren das Schiff noch einmal ansehen und bin trotzdem nie mehr dort gewesen, obwohl der Name "Cutty Sark" (mit dem ich als des Englischen unkundiges Kleinkind gar nichts anfangen konnte) geradezu zu einem Geräusch, einem Synonym für kindiche Abenteuerlust und schweifende Träumereien geworden war. Und nun sind siebenunddreißig Jahre vergangen und seit heute weiß ich, ich werde es nicht mehr schaffen, diesen Zeugen meiner Kindheit zu besuchen.
Heute ist die "Cutty Sark" bei einem Brand zerstört worden.
"Hanebüchen auch die Argumentationskette bei einem vierten Durchsuchungsbefehl. Darin wird dem Beschuldigten vorgeworfen, an einem vor wenigen Monaten verübten Brandanschlag auf das Berliner Unternehmen Dussmann beteiligt gewesen zu sein. Das Indiz für diese Annahme: Der Beschuldigte hätte im Internet mal nach “Dussmann” recherchiert. Dussmann unterhält unter dem gleichen Namen eines der größten Bücherkaufhäuser der Stadt."
Was ist zu tun? Den breiten Datenstaubwedel hinter sich herziehen, um seine Spuren im Netz wenigstens ein bißchen zu verwischen. Zum Beispiel mit TrackMeNot, einer Firefox-Extension. Die fragt regelmäßig bei den üblichen Suchmaschinen wie AOL, Yahoo, Google oder MSN randomisierte Themen wie Schalke, Paris Hilton oder Eisenbahnromatik ab.
[Via]
Heute beglückt uns die Journaille wieder mit völlig verblüffenden Erkenntnissen. Mein heimisches Lokalblatt macht mit folgender Schlagzeile auf:
"Arme Kinder sind öfter krank"
Und Spon meldet gerade:
"Irak droht kompletter Kollaps"
Das sind ja mal wirklich Überraschungen, wer hätte das gedacht? Wenn es regnet, wird es naß! Das Erstaunliche daran ist ja die boulevardeske Überhöhung von Inhalten, die an sich selbst einem Bären im Winterschlaf nicht mehr das kleinste Gähnen entlocken würden.
*räusper*
"Ist der Maien kühl und naß, füllt's dem Bauern Scheun' und Faß."
Hmnaja. Wirkt nicht so besonders...
Heute sehr übellaunig. Post von der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen bekommen. Denen hatte ich vor knapp zwei Wochen einige Proben von erkrankten Pflanzen aus dem Garten mit der Bitte um Analyse/Diagnose/Therapie geschickt.
Antwort: was da meinen Garten weitflächig befallen hat und die Arbeit von zwei, drei Jahren zunichte macht, ist eine Viruserkrankung. Abhilfe: Keine. Ich kann also alles 'rausreißen.
Ich habe ja nur sehr selten Momente, in denen ich mich sehr gerne an meine Existenz als asphalt-inkulturierter Städter erinnere. Heute ist so einer.
Man glaubt es kaum: der milchgesichtige Adept des privatfernsehlichen Proletentums Oliver Pocher wird ab Oktober als Harald Schmidts Nachfolger eingearbeitet und zusammen mit ihm eine einstündige Show in der ARD bestreiten.
Wer wollte da noch behaupten, Quoten hätten etwas mit Qualität zu tun?
Fasziniert betrachte ich im Restaurant den Aschenbecher, der etwas versteckt für das Personal hinten steht. Immer wieder steckt sich einer der Kellner hastig eine Zigarette an, tut einen tiefen Zug und legt das gerade erst entflammte Stück in die Schale zu den übrigen, die bereits vor ihm ihr Leben unbeachtet ausgehaucht haben und nun mit aschenem, gebrochenem Rückgrat still daliegen.