Montag, 5. Februar 2007
Normative Kraft des Feierns

Handballweltmeister laufen an Krücken, trinken Kölsch und tragen Karnevalsorden.

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Scharfblick

" Mens sana in corpore sano."

Mit diesem Satz, demzufolge ein gesunder Geist bitteschön auch in einem gesunden Körper wohnen solle, haben sie uns damals in der Schule immer getriezt und gequält, wir sollten uns gefälligst anstrengen, wir Jammerlappen, wir seien eine Schande fürs Bildungsideal, was sollten unsere Eltern bloß sagen, wir sollten uns was schämen... so, also ob es ein Ausweis an Minderwertigkeit wäre, nicht zu den gestählten, glatten, muskulösen, gutaussehenden Sportskanonen zu gehören.

Und das war es dann ja auch. Ihnen flogen die Herzen der Mädchen zu, während uns, die wir zumeist etwas linkisch und verkniffenen Blickes auftraten (denn natürlich trugen wir Brille, Kassengestell, es waren die Siebziger!), nur der Spott sicher war. Sie hatten schon früh eine Freundin, natürlich die Klassenschönheit, während wir im Sport immer als Vorletzter oder gar Letzer in die Mannschaften gewählt wurden, begleitet vom mißmutigen Gesichtsausdruck des Mannschaftskapitäns, der uns, während wir uns möglichst unauffällig in die hintere Reihe oder (natürlich) ins Tor zu drücken versuchten, böse anzischte "streng dich gefälligst an!" oder "bau keine Scheiße!", eine Demütigung schon bevor der eigentlichen Demütigung, die ja so sicher war, denn wir waren keineswegs eine gestählte, glatte, muskulöse, gutaussehende Sportskanone, wir trugen eine Brille und mußten aufpassen, daß sie nicht entzwei ging.


Conrad Waider, Bozen, um 1485

Und dann eben dieser Satz. "Mens sana in corpore sano". Wie erniedrigend die Vorstellung, daß anscheinend das Maß der Vollkommenheit auch in geistigen Gefilden das strotzende, das Körperliche zu sein hatte, erst der Athlet brachte den Denker zur Vollkommenheit.

Bis ich dann eines Tage feststellte, daß sie uns in der Schule betrogen hatten, den Satz nie vollständig zitierten, sondern mit Auslassungen (Stilmittel der Ellipse!), die aber den ursprünglichen Sinn ganz und gar entstellten, ja den Satz sogar in völligen Gegensatz zur eigentlichen Aussage verdrehten und verbogen, ich erfuhr, daß Juvenal eigentlich und ursprünglich "Orandum est, ut sit mens sana in corpore sano" geschrieben hatte.
Also ändert sich die Sichtachse, die Betonung, alles. Es ist zu wünschen, daß in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist steckte. Es ist zu wünschen, daß die anabol aufgeblasenen Hohlköpfe sich um die geistige Füllung derselben bemühten. Es ist zu wünschen, daß nicht Oberflächlichkeit und der bloße Schein entschieden.

Das hätten sie mir mal damals in der Obersekunda sagen sollen, dann hätte ich meine Brille auch wenigstens mit einem Jota Selbstbewußtsein getragen.

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