Dienstag, 9. Mai 2006
Jawohl, mein Führer!
Manchmal ist es wirklich schwer, angesichts bestimmter Äußerungen nicht sofort in ein saftiges, vorurteilsbeladenes "Siehste!!!" zu verfallen. Aber wenn ich so etwas lese:

"Das Prinzip Zeitung ist das Prinzip Führung. (...) Und das Prinzip Führung macht die Zeitung zugleich so zukunftssicher. Denn an das Prinzip Führung, an eine tiefe Sehnsucht nach Hierarchie, glaube ich ... fest."

... und feststelle, daß es sich zwar nicht um ein Zitat des Völkischen Beobachters, aber immerhin noch eine Sentenz des Springer-Häuptlings M. Döpfner handelt, dann entringt sich mir spontan ebenjene eingangs erwähnte Interjektion.

Rätselhaft bleibt, wie ein Mann, der sich so dermaßen vorgestrig gibt, einen Medienkonzern erfolgreich führen (sic!) will.


[Via]

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Mein erster Gedanke
war auch: Was für eine protofaschistiode Sch**ße verzapft der Typ da?

Nach Lektüre des ganzen Elaborats sehe ich die Äußerung aber in etwas milderem Licht. So wie Kundrun seine Vision in Richtung interaktive zwonull-Zeitschriftenjournalisten überzieht, so überzieht es Döpfner halt ins andere Extrem. Die Frage, wer von beiden mehr recht hat als der andere, stellt sich mir so nicht. Jeder bedient halt seine Zielgruppe, so gut er kann.

Fast finde ich es sogar ein ganz klein bisschen sympathisch, dass Döpfner jetzt nicht auch noch in die allgegenwärtigen Schalmeienklänge von Zwonull und permanentem Dialog mit dem Leser einstimmt. Nicht, dass mir Döpfners Standpunkt als solcher groß sympathisch wäre - aber ich finds ok, dass er zu seinen Auffassungen steht, auch wenn sie vielleicht unpopulär sein mögen und gegen den vorherrschenden Branchentrend schwimmen.

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Ich kenne Mathias Döpfner als smarten Gesprächpartner, kreativen Macher und aufrechten Journalisten. Er hat sich niemals beschwert, hat niemals einen Anzeigenboykott initiiert oder ähnliches, als ich ihn vor Jahren im kressreport als "Teflon-Döpfner", an dem trotz aller Misserfolge nix hängen bleibt, gepiesackt habe.

Mir liegt diese Passage seiner Rede trotzdem quer im Magen. An "das Prinzip Führung" sollte meines Erachtens kein Deutscher glauben, fast 65 Jahre nach Ausschwitz. Eine "Sehnsucht nach Hierarchie" habe ich bei mir nie feststellen können und glücklicherweise auch bei immer weniger jungen Menschen.

Ich möchte mir weder von Springers Zeitungen sagen lassen, was ich zu meinen habe, noch von irgend einem Altblogger, ob ich DAS oder DER Blog schreibe. Pointierte Meinungsäußerungen sind mir willkommen. Aber für mich beginnt der Charismaverlust genau an der Stelle, wo irgend jemand sagt: Ich Alpha, Du Beta - deshalb mach, was ich sage.

Ich hoffe, Blogs und das Internet sind das richtige Mittel, den Alphatieren dieser Welt die Gefolgschaft zu kündigen.

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Ich hoffe, Blogs und das Internet sind das richtige Mittel, den Alphatieren dieser Welt die Gefolgschaft zu kündigen.

Dann müsstest Du eigentlich verstehen, warum manche Blogger Krämpfe kriegen angesichts der Verlagsblog-Offensiven. Da können die Burdas und Kundruns noch so viel von Communities und aktivem Leserdialog faseln, man glaubt hier draußen einfach nicht, dass die sooo viel anders ticken als die Döpfners und Konsorten. Einziger Unterschied: Die anderen haben halt mehr Kreide gefressen als der Herr Döpfner. Aber die Denke ist doch weitgehend die gleiche.

Guck Dir an, was Murdoch mit seinem MySpace veranstaltet. Der stelllt sich auch auf Medienkongressen hin und schwadroniert rum, die Tage der Medienbarone wären gezählt und Internet und offene Plattform blablabla - aber viele von den Teenies, die sich da rumtreiben, blicken schon gar nicht mehr, dass es noch ein Internet jenseits von Myspace gibt (und Fernsehen jenseits von den Simpsons und Fox News). Wenn Dein Account wegen Myspace-kritischer Äußerungen gelöscht wird - dann bist Du draußen aus der schönen neuen Communitywelt, in der alle Deine Freunde noch drin sind. Das ist nur noch ein buntes und lautes (aber im Endeffekt kastriertes) Surrogat, das auf TCP/IP-Basis läuft, mit dem aber nicht mehr viel zu tun hat, was wir unter Internet verstehen.

OK, selbstredend würde es bei Burda; Holtzbrinck oder G+J nicht so nordkoreanisch zugehen wie in Murdochs Reich oder im Hause Springer. Aber wenn Du den Alphatieren der Welt Deine Gefolgschaft kündigen willst, dann tu es jetzt. Und ziehe die Möglichkeit in Betracht, dass die Burdas, Holtzbrincks und Gruners genausolche Alphatierchen sind wie die Springers und Murdochs auch, selbst wenn ihr Fell etwas freundlicher gefärbt ist und ihre Zähne nicht ganz so furchteinflößend aussehen.

Eigentlich muss man Döpfner dankbar sein, dass er die Maske mal fallen ließ.

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Ja, Döpfner wie Kundrun überziehen jeweils die Darstellung ihrer Position. Nein, ich bin weder Adept des (auf mich zuweilen ziemlich esoterisch wirkenden) Webzwonull-Hypes noch brauche ich morgens den Tagesbefehl, um zu funktionieren.

Aber in der Tat, da ist Peter Turi zuzustimmen, sollten bestimmte Begrifflichkeiten und die damit verbundenen Konzepte aus deutschem Gebrauch verschwunden sein. Auch wenn ich angesichts der zunehmenden Interaktivität selbst der Nachrichtenmedien das baldige Ende des reinen Gatekeepertums erwarte, so muß dennoch nicht das sozialistische Medienparadies ausgerufen werden. Es werden weiterhin Meinungsmacher existieren, mögen das auch keine gutsherrlich operierenden Verlagschefs o.ä. mehr sein, sondern auch Blogger, freie Journalisten etc.

Oder wir sollten beginnen, zu differenzieren, von wem wir da eigentlich reden: die amorphe Masse der Medienrezipienten gibt es schließlich so gar nicht. Elf oder zwölf Millionen Deutsche sind es jeden Tag zufrieden, die Welt vom bunt bedruckten Klopapier aus Hamburg erklärt zu bekommen (ja, das mit dem "Führer"), ein paar Hunderttausend bevorzugen gehaltvollere Kost z.B. aus Frankfurt oder München.

Sind mit dem Döpfner am Ende die elitären Gäule durchgegangen und ist ihm seine Zielgruppe schlicht peinlich und er würde vielleicht viel lieber die sog. Info-Elite ("Hierarchie"!) bedienen?

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Aber in der Tat, da ist Peter Turi zuzustimmen, sollten bestimmte Begrifflichkeiten und die damit verbundenen Konzepte aus deutschem Gebrauch verschwunden sein.

Das sitzt aber vermutlich tiefer, als dass man mit politisch korrekter Sprachsäuberung da was drehen könnte, fürchte ich.

Da läuft wieder ein gesellschaftlicher Umbruch ähnlich wie in den späten 60ern, und Springer bezieht klar Stellung für das Gestern, die Illusion von der heilen Welt mit intakten Familienwerten und der Bereitschaft von denen da unten, sich denen da oben bedingungslos unterzuordnen. Und das muss nicht gegen den wirtschaftlichen und publizistischen Erfolg von Springer sprechen, es gibt genug potentielle Modernisierungsverlierer, die mit der Unübersichtlichkeit der Welt nicht zurechtkommen und die weiterhin klare Ansagen brauchen, was richtig und falsch ist, was in ist und was out.

Wohlverstanden: Diese Passage aus Döpfners Elaborat holt mir das Weihnachtsgebäck des Vorjahres wieder hoch - aber ich hab trotzdem Respekt davor, dass der Typ sich hinstellt und sagt, wie er die Sache sieht, auch wenn es meinen gesellschaftspolitischen Idealen ziemlich konträr entgegenläuft. Ich hab aus der Ecke nie was anderes erwartet, von daher sehe ich auch auch keinen Charisma-Verlust.

Ich frage mich aber, ob die Lippenbekenntnisse der Konkurrenz-Unternehmen zum Leser-Dialog und zu zwonulliger Interaktion den Webspace wert sind, den sie verbrauchen. Für mich klingt das Konzept von Verlagsblogs und Zeitschriftenmarken-Communites nach einer Revolution light, für die ich bei den Burdas, Holtzbrincks & Gruners auch noch Bahnsteigkarten lösen muss - das kanns ja wohl irgendwie nicht sein.

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Ich habe den Eindruck, daß diese Lippenbekenntnisse von einer guten Portion Angst begleitet werden. Denn hier droht unbekanntes Neuland, und die Verleger - ob Webzwonuller oder nicht - haben keinen Schimmer wohin die Reise geht, das einzige, was sie wissen: so wie in den letzten 50 oder 100 Jahren wird es nie wieder sein.

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Das hier ist ein ganz unschöner Satz, Herr Mark:

>> Ich frage mich aber, ob die Lippenbekenntnisse der Konkurrenz-Unternehmen zum Leser-Dialog und zu zwonulliger Interaktion den Webspace wert sind, den sie verbrauchen.<<

Von unwerten Äußerungen sollten wir am Vorabend des Jahrestags der Bücherverbrennungen nicht reden.

Außerdem sind es keine Lippenbekenntnisse, wie wir bei den Online-Ausgaben von "Neon"und "View" sehen können.

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Wo steht denn da was
von unwert? Man kanns auch übertreiben mit der politischen Korrektheit. Mir gehts hier nicht darum, schöne Sätze zu schreiben, sondern vor allem deutliche. Ergibt das Zielkonflikte, kann die Schönheit gerne auf der Strecke bleiben.

"Neon" und "View" sind zwei nette Schwalben, die ganz hübsche Figuren fliegen. Einen Sommer sehe ich in diesem Piepmatzpaar noch nicht.

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Naja, zwei Onlineausgaben (gegenüber tausenden von Tageszeitungen und Zeitschriften im Lande) sind mir als Referenzobjekte in der Tat ein bißchen dünn. Und schaut man genauer hin, dann sind's eine bessere Photocommunity und ein Mainstreamblatt, das unsagbar dämlich als Zielgruppe Leute angibt, "die bis 35 [und] formal erwachsen sind und sich aber manchmal nicht so fühlen" und deren Vorturner mit Anfang 30 etwas von ein paar guten Jahren faseln, die sie "noch" hätten. Dankeschön, an Präzeptoren des Jugendwahns herrscht in der Republik auch sonst kein Mangel und wenn sich derlei Volksbelustigung gut verkauft – na, von mir aus, aber das tut auch das Hamburger Schmutzblatt mit den großen Buchstaben.

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