Freitag, 24. Juni 2016
Aus Ruinen lernen

Seit ich politisch denken kann, war ich immer ein enthusiastischer Befürworter der europäischen Einigung. Die Gründe waren und sind vielfältig, teils eher pragmatischer Natur wie der Vorteil, ohne lästige Grenzkontrollen und Geldumtauschaktionen quer durch den Kontinent reisen zu können; teils auch von eher kulturromantischer Art beim Gedanken ans Alte Europa; teils auch aus Sorge um die Zukunft in einer globalisierten Welt, wo selbst ein einiges Europa mit gerade einmal sechs oder sieben Prozent der Weltbevölkerung seinen Rang nur mit Mühe behaupten kann.

Und ein einiges Europa ist ein Projekt des Friedens. Was meiner Generation nicht viel sagt und bedeutet, weil wir es ja nie anders kennengelernt haben. Aber noch leben unsere Eltern oder Großeltern, die den letzten Krieg am eigenen Leibe erlebt und erlitten haben und uns erzählen können, welch fundamentaler Wandel sich da in den letzten 70 Jahren vollzogen hat, weg von allerlei mit blutigster Leidenschaft ausgefochtenen Erbfeindschaften hin zu einer vielleicht im Alltag etwas drögen Friedensordnung, die aber Verläßlichkeit und Ruhe versprach.



Dieses Versprechen halte ich nach wie vor für wichtig, grandios und tatsächlich alternativlos. Doch leider leben wir nicht in de Gaulles Europa der Vaterländer oder einer europäischen Ordnung, die auf breiter, demokratischer Basis und dem Einverständnis der Bevölkerung die Dinge immer nur da regelt, wo die Notwendigkeiten die Zuständigkeiten bestimmen. Denn tatsächlich begegnet uns die europäische Idee heute nur in der Form des real existierenden Eurobürokratismus. Was ist alles geklagt worden über die Regelungswut der Brüsseler Bürokraten (Bodo Hauser: "Die Zehn Gebote haben 279 Wörter, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat 300 Wörter, die EU-Verordnung zur Einfuhr von Karamellbonbons hat 25.911 Wörter.").



Aber schlimmer noch ist die Arroganz der politischen Primadonnen von Schulz bis Juncker, die nicht einmal jetzt auch nur einen Funken Bedauerns über den Ausgang des britischen Referendums erkennen lassen oder gar die Einsicht, mit ihrer bürgerfernen Bevormundungspolitik, die schwerste Fehlentscheidungen beinhaltet, die Briten selber tatkräftig aus der Union getrieben zu haben. Stattdessen immer noch dieselbe beleidigte Überheblichkeit, mündend und gipfelnd in der Aussage von heute morgen, die Briten hätten "jetzt unverzüglich zu handeln". So, mit diesem Auftreten, geben sie den Brexit-Befürwortern im Nachhinein erneut recht.



Denn wenn nicht einmal dieses Ereignis von der Eurokraten und EU-Fans in den Redaktionsstuben als Weck- und Warnruf begriffen wird, dann ist das gestern nicht das letzte Austrittsreferendum gewesen. Die ersten Reaktionen lassen nichts gutes erwarten. Doch mit der Abqualifizierung von EU-Kritikern (die ja oft genug gerade Europafreunde sind!) als verblendete Deppen, Angsthasen oder wie heute beim Mutterschiff des gouvernantenhaften "Haltungs"-Journalismus "Die Zeit" gar als "Amokläufer" treiben die EU-Befürworter ihren Gegnern nur noch umso mehr Wähler zu.

Daß diese Dämonisierungs- und Arroganzstrategie das Gegenteil vom Beabsichtigten erreicht, sollte sich nach einschlägigen Erfahrungen mit der FPÖ, dem Front National oder der AfD unter den "Eliten" langsam herumgesprochen haben.

Schade. Dabei ist Europa so eine grandiose Idee.



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