Donnerstag, 28. Februar 2008
Vor 75 Jahren

"Anfangs begriff ich, eines Februarabends von Grünheide kommend, die ungeheuerliche Bedeutung des Anblicks nicht, der sich mir von der Stadtbahn aus bot. Die fahlen, zuckenden Lichter der Stadt waren von einem samtenen Rot überstrahlt, welches den nächtlichen Himmel weithin färbte und die Luft zu durchtränken schien. Die Leute in der Stadtbahn starrten alle in die Richtung des Scheines, der sich dann, bei einer Kurve der Bahn, plötzlich zu einem fast kristallenen Glanz verdichtete. Der Reichstag brannte. Die Leute im Wagen bewegten sich nicht. Der Rechstag brannte, still für sich allein, eine Wunde schien aufgebrochen zu sein, gelb und rot, das Leben der Stadt lähmend, - der Zug fuhr in weitem Bogen um den prallen, alles beherrschenden Kern, als kreiste er, ein urweltliches Schauspiel, eine Vision des Untergangs bietend, auf sicher stählerner Bahn wie ein Planet um eine sich in Protuberanzen verzehrende Sonne. Und keiner sprach ein Wort.

Die Stadt schien wie ausgestorben, wie unmittelbar von der Katastrophe bedroht, ja, es schien, als schicke sie sich willenlos zum Untergang an. Der rötlich-fahle Schein verzerrte alle Konturen, die Straßen und Plätze schienen wie Krater und Kanäle zu sein, wie sie etwa auf dem Mars zu beobachten sind, die Wolkenballen, wie aus sich selber rötliche Glut sendend, hingen so niedrig, daß sie sich anzuschicken schienen, die gequälte Erde sengend zu bedecken. Obwohl in den Wagen der Stadtbahn die Lichter brannten, war der Widerschein der Röte auf allen Gesichtern zu sehen, die starr auf das grausige Schauspiel gerichtet waren und nichts auszudrücken schienen als ein einziges, lähmendes Entsetzen."

Ernst von Salomon, der Fragebogen.


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