Mittwoch, 17. Juni 2009
Adreßhändler siegen über Datenschutz

Bittere Niederlage für den Daten- und Verbraucherschutz: Das sogenannte Listenprivileg, das Reklamefirmen erlaubt, zahllose Bürger ungefragt mit Werbung zu überschwemmen, bleibt bestehen. Darauf haben sich laut "Handelsblatt" die Koalitionsspitzen geeinigt. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen zu verschiedenen Punkten des neuen Bundesdatenschutzgesetzes war diskutiert worden, die kommerzielle Verwendung personenbezogener Daten einzuschränken. Der Einzelne sollte mehr Verfügungsgewalt über seine Daten erhalten, indem er einer entsprechenden Verwertung ausdrücklich zustimmen müsse (und zwar durch das sogenannte Opt-in), so die Forderungen zum Beispiel der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die ist über die jetzt getroffene Verständigung in der Koalition auch gar nicht amüsiert, sondern kritisiert die Einigung scharf. Unter der Überschrift "Koalition versagt beim Datenschutz" geht vzbv-Vorstand Gerd Billen die Regierung frontal an: "Die Regierungsfraktionen haben das Selbstbestimmungsrecht der Verbraucher auf dem Altar der Wirtschaftsinteressen geopfert. Die Parlamentarier von Union und SPD dürfen sich jeden nun kommenden neuen Datenschutzskandal als persönlichen Verdienst ans Revers heften."



Auch wenn das Bundesverfassungsgericht erst jüngst das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung definiert hat, scheint das den parlamentarischen Gesetzgeber nicht sonderlich zu beeindrucken. Denn die Beibehaltung der ungefragten Werbeverwertung persönlicher Daten kann wohl kaum als Stärkung der Verbraucherrechte angesehen werden. Umgekehrt dürften bei der Werbewirtschaft die Sektkorken knallen. Die Reklamefirmen hatten zuvor mit finsteren Szenarien zehntausender neuer Arbeitsloser in der Öffentlichkeit gebarmt. Das Lobby-Dauerfeuer zeigte Wirkung, die schwarzen Wirtschaftsfreunde jedenfalls nahmen Gedanken der Verbraucherfreundlichkeit wieder Abstand.
Tenor des Reklame-Tremolos: Mit einem Opt-In könnte kein Unternehmen mehr in Kontakt zu seinen Kunden treten, weil vor jeder Kontaktaufnahme erst die ausdrückliche Zustimmung des Kunde stehen würde. Das ist natürlich ein an den Haaren herbeigezogenes Kollateralschaden-Argument. Wer nicht einmal den Unterschied zwischen einer direkten Kundenansprache und dem Weiterverkloppen von persönlichen Daten erkennen mag, der will nicht informieren, der hat schlicht Angst um seine Pfründen und malt den schwarzen Mann an die Wand.

Am heutigen Mittwoch berieten die SPD- und Unionsfraktionen über die Novelle zum Datenschutzgesetz, geht auch morgen während der Innenausschussanhörung alles glatt, dürfte das Gesetz am Freitag erschütterungsfrei verabschiedet werden. Wenn sich nicht noch Verbraucherpolitiker quer stellen. Und danach scheint es derzeit immer mehr auszusehen. Zumindest unter den SPD-Abgeordneten scheinen sich die Stimmen zu mehren, die den Kompromiß mit der Union zu wässrig finden und die Gesetzesnovelle bis nach der Wahl verschieben wollen. Mal sehen, wie es am Ende ausgehen wird. Denn auch unter Behörden, zum Beispiel in vielen Kommunen, sitzen vielfältige Profiteure der Adressenhökerei. Denn auch Einwohnermeldeämter lassen sich die entsprechenden Daten aus ihrem Beritt gern von der Reklamebranche vergolden. Hoheitliche Zurückhaltung war gestern.



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Sperren statt löschen

Man müßte geradezu in die SPD eintreten, um wieder austreten zu können.



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